Schon im 14. Jahrhundert hatten die Augsburger damit begonnen, das Wasser des Lechs vom Hochablass aus in ihre Stadt zu leiten. Dies diente zum einen der Energieversorgung der zahlreichen Handwerksbetriebe wie Webereien und Gerbereien im Lechviertel (Altstadt), zum anderen der Abwasserentsorgung. Auch im so genannten "mittleren Lechgries", dem Gebiet östlich der Stadtmauern bis hinunter zum Lech, schuf man zwischen natürlichen Bächen künstliche Kanäle, um dort verschiedene Mühlen anzusiedeln, die der Versorgung der Stadt dienen sollten. Außerdem lag dort das reichsstädtische Proviantamt, welches im Mittelalter über den Proviantbach mit Getreide, Holz, Kalk und Bausteinen beliefert wurde.
Um 1635 befanden sich auf dem nahezu unbebauten Areal zahlreiche Brückenübergänge, Mühlen und Eisenhämmer, was ein Plan des Stadtbaumeisters Elias Holl dokumentiert. Zudem boten die weitflächigen Wiesen des "mittleren Lechgrieses" ideale Voraussetzungen für das Bleicher- und das Färberhandwerk, die dort nach und nach ansässig wurden. Es entstanden die ersten Färbertürme, die zum Aushängen und Trocknen eingefärbter Stoffbahnen dienten und die Gegend bald prägten. Das älteste heute noch erhaltene Bauwerk dieser Art ist der Färberturm von 1763 in der Schäfflerbachstraße.
Dass das Gebiet nur zögerlich bebaut wurde, dafür gibt es einen Grund: Für alle Gebäude, die außerhalb der Stadtmauern errichtet wurden, galt bis zur Aufhebung der Festungseigenschaft Augsburgs (1866) die sogenannte Reverspflicht, wonach die Besitzer im Kriegsfall ihre Anwesen ohne Entschädigung beseitigen mussten. Im Klartext bedeutet dies, dass die Bebauung des späteren Textilviertels bis weit in die Phase der Industrialisierung hinein unter einem hohen Risikofaktor und ohne übergeordnete Planung erfolgte. Die ersten Unternehmer, die im 18. Jahrhundert ihre Manufakturen aufs "flache Land" stellten, mussten also eine Menge Gottvertrauen gehabt haben.
So auch ein gewisser Johann Apfel, der im Jahr 1702 am Platz vor dem Vogeltor eine kleine Kattundruckerei errichtete, aus der dann die Firma "Schöppler & Hartmann" hervorging, welche ihrerseits wiederum später zu einem der größten Unternehmen des Textilviertels werden sollte: die "Neue Augsburger Kattunfabrik" (NAK).
Gleich im ganz großen Stil baute Johann Heinrich Schüle. Seine schlossartig angelegte Kattunfabrik vor dem Roten Tor war 1771 die erste Produktionsstätte dieser Art auf dem europäischen Festland. Zuvor hatte es derartige Fabrikanlagen nur in England gegeben. Schüle brachte es durch die Herstellung luxuriöser Stoffe zu beträchtlichem Reichtum und war zeitweise der größte Arbeitgeber der Stadt. Allerdings hatte die Firma über seinen Tod hinaus keinen Fortbestand. Die "Schüle'sche Kattunfabrik" lag zwar streng genommen nicht im heutigen Textilviertel, aber ihrer bedeutenden Rolle in der Augsburger Industriegeschichte wegen ist sie hier auf jeden Fall eine Bemerkung wert.
Um 1830 war "Schöppler & Hartmann" am Vogeltor der einzige größere Gebäudekomplex, den man bereits als Fabrik bezeichnen konnte. Ansonsten war das Areal im Osten der Altstadt noch geprägt von stattlichen Gärten, die sich im Besitz wohlhabender Augsburger befanden, sowie von großzügigen Bleichgütern und den bereits erwähnten Mühlen und Eisenhämmern.
Die erste Phase der Industrialisierung setzte ein, als der Kaufmann Johann Anton Friedrich Merz 1836 von Nürnberg nach Augsburg kam und am Schäfflerbach die "Kammgarn-Spinnerey J. Fr. Merz & Cie." gründete. In Augsburg war zu dieser Zeit genügend Kapital vorhanden, um groß angelegte Unternehmen zu etablieren. Außerdem mangelte es nicht an Arbeitskräften, da durch den Wegfall der handwerklichen Produktion zahlreiche qualifizierte Weber eine neue Beschäftigung suchten. So gelang Merz 1845 mit Unterstützung namhafter Geldgeber die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft, die von da an als "Augsburger Kammgarn-Spinnerei" (AKS) firmierte und in der Folgezeit umfangreiche Erweiterungspläne in die Tat umsetzte.
Bereits wenige Jahre zuvor, nämlich 1837, war ein weiteres Großunternehmen, die "Mechanische Baumwoll-Spinnerei und Weberei Augsburg" (SWA) als Kapitalgesellschaft gegründet worden. Im Auftrag der SWA entstand an der heutigen Johannes-Haag-Straße ein gigantischer sechsstöckiger Spinnerei-Hochbau von 155 Metern Länge, den alle nur die "Große Fabrik" nannten.
In kurzen zeitlichen Abständen ließen sich an den Bächen des Textilviertels nun viele weitere große und kleinere Betriebe nieder, so z.B. die "Mechanische Feinweberei am Fichtelbach" (1846) oder die Bleicherei, Färberei, Druckerei und Appreturanstalt "Martini & Cie." (1847). Mit der "Messingfabrik Beck & Cie.", der "Maschinen- und Röhrenfabrik Johannes Haag" (1857) oder der "Schilder- und Zinkornamenten-Fabrik Emil Deschler" (1858) siedelten sich auch Unternehmen aus anderen Wirtschaftszweigen an.
Ende des 19. Jahrhunderts war die Hochphase des Industriezeitalters erreicht. Respektvoll bezeichnete man Augsburg damals gerne als das "Manchester Deutschlands", was vor allem den florierenden und international bedeutenden Unternehmen der Textilbranche zu verdanken war. Im ersten Industriegebiet der Stadt wurden zu jener Zeit zahlreiche Fabrikschlösser nach englischem Vorbild errichtet. Aber auch der "sozialen Frage" hatte man sich angenommen, und so entstanden in unmittelbarer Nähe der Fabriken Werksiedlungen wie das "Kammgarnquartier" und das "Proviantbachquartier", sowie ein Kinderheim, ein Altenheim, eine Turnhalle und sogar ein Fußballplatz. Das Viertel war nicht mehr nur Arbeitsplatz, sondern jetzt auch gleichzeitig Lebensraum geworden.
Auf Initiative von elf Firmen, einem Bankhaus und sieben Privatpersonen – allesamt Persönlichkeiten aus der Industrie – gründete man 1889 die "Aktiengesellschaft Augsburger Localbahn". Diese private Eisenbahngesellschaft sollte für eine Verbesserung des Gütertransports zwischen den Fabriken, die über den östlichen und nordöstlichen Teil der Stadt verteilt lagen, sorgen. Im Textilviertel wurde ein dichtes Schienennetz angelegt, das die einzelnen Werke miteinander verband und seinen zentralen Umschlagplatz am Localbahnhof an der Friedberger Straße hatte.
Im Jahr 1900 wurde der "Schlacht- und Viehhof" eröffnet, der die einzige kommunale Anlage im Viertel darstellte. 1910 entstand mit dem "Glaspalast" (SWA, Werk IV "Aumühle") der erster Stahlskelett-Großbau Deutschlands. Wenig später stürzte der Erste Weltkrieg die Augsburger Textilindustrie in eine tiefe Krise. Bald machte sich Rohstoffmangel bemerkbar, ab 1915 kam die Einfuhr von Baumwolle völlig zum Erliegen. Auch Kohle wurde immer knapper, was eine drastische Einschränkung der Produktion zur Folge hatte. Waren 1914 noch 14.500 Menschen in der Textilindustrie tätig, so ging ihre Zahl bis 1918 auf knapp 7.000 zurück. Erst Anfang der 1920er Jahre hatte sich die Wirtschaft wieder weitgehend stabilisiert und es kam der Aufschwung.
Die "Augsburger Kammgarn-Spinnerei" (AKS) feierte 1936 einhundertjähriges Bestehen und krönte dieses Jubiläum mit dem Bau eines neuen Kesselhauses. Dieser hoch aufragende Bau ist heute noch weithin sichtbar und gilt als Wahrzeichen des umstrukturierten AKS-Geländes. Andere Teile der Anlage wurden dagegen im Zweiten Weltkrieg durch Bombardierung stark beschädigt. Auch "Martini & Cie." musste erhebliche Treffer hinnehmen und konnte erst 1948 den Betrieb wieder aufnehmen. Die "Große Fabrik" der SWA war sogar so schwer zerstört, dass sie gar nicht mehr wieder aufgebaut wurde. Die Kriegsruine stand bis 1968 an der Johannes-Haag-Straße, ehe man sie schließlich abriss, um dem Omnibusdepot der Stadtwerke Platz zu machen.
In den 1950er Jahren erlebte die westdeutsche Textilindustrie noch einmal einen beispiellosen Aufschwung. Auch die Augsburger Unternehmen profitierten von dem Bedarf der Bevölkerung an Textilien und den billig zur Verfügung stehenden Arbeitskräften. 1957 zählte die Stadt 17.500 in der Textilbranche Beschäftigte. Kurze Zeit später wurden die ersten "Gastarbeiter" aus Italien angeworben. In den 1960er Jahren folgten Griechen, Türken und Jugoslawen. Viele von ihnen bezogen günstige Wohnungen direkt im Textilviertel oder im angrenzenden, neu entstehenden Herrenbachviertel.
Der schleichende Niedergang der Augsburger Textilindustrie begann in den 1970er Jahren, als immer mehr ausländische Textilimporte immer weniger deutschen Exporten gegenüberstanden. Diese Entwicklung war nicht mehr aufzuhalten und setzte sich auch in den 1980er Jahren fort. Es wurde immer schwieriger, dem Druck aus Billiglohnländern standzuhalten. Bemühungen um Kostensenkung, Rationalisierung und Umstrukturierung waren – wenn überhaupt – nur kurzzeitig erfolgreich. 1988 stellte die "Mechanische Baumwoll-Spinnerei und Weberei Augsburg" (SWA) den Betrieb endgültig ein. 1996 schloss die "Neue Augsburger Kattunfabrik" (NAK) und 2002 schließlich die "Augsburger Kammgarn-Spinnerei" (AKS).
In den Jahren des Niedergangs war das Textilviertel als Industriebrache in den "toten Winkel" der Bevölkerung geraten. Das für die Stadtentwicklung einst so bedeutende Gebiet galt als unattraktiv. Politik und Stadtplanung taten sich lange schwer, neue Nutzungen zu finden und mit dem Gesamtensemble von europäischem Rang behutsam umzugehen. Vieles, zu vieles, fiel der Abrissbirne zum Opfer und verschwand damit für immer von der Bildfläche. Seit Anfang des 21. Jahrhunderts gibt es neue Planungen und Versuche einer Annäherung an den Stadtteil. Wohin sich das Textilviertel in den nächsten Jahren entwickeln wird, bleibt abzuwarten.
Eine Stadt ist niemals fertig. Fortsetzung folgt...
Um 1850 existierten in Augsburg und Umgebung bereits rund 20 große Textilfabriken. Die mächtigsten und beeindruckendsten von ihnen waren bis ins 20. Jahrhundert hinein im Textilviertel angesiedelt. Fabrik-schlösser und riesige Gebäudekomplexe demonstrierten auf imposante Weise, welch hohe Bedeutung für die Stadt diesen Großunternehmen zukam.
Augsburger Kammgarn-Spinnerei (AKS)
Gegründet: 1836 • AG seit 1845 • Branche: Spinnerei • Spindeln: 20.000 (1865), 92.000 (1935) • Beschäftigte: 1.000 (1865), 2.400 (1935) • geschlossen: 2002 (Spinnerei), 2004 (Färberei) • Teil-Abbruch: 2009/2010
1836 gründete Friedrich Merz seine "Kammgarn-Spinnerey J. Fr. Merz & Cie.", die 1845 in die "Augsburger Kammgarn-Spinnerei" (AKS) umfirmiert wurde. Der Ausbau der Firma erfolgte in mehreren Schritten. Sie besaß eine eigene Kämmerei, Färberei, Spinnerei, Zwirnerei und Spulerei. Vor allem ihre sozialen Leistungen waren bemerkenswert. So gab es schon früh eine Fabrikkrankenkasse, eine Ersparniskasse und einen Arbeiterunterstützungsfond. Ab 1854 wurden die ersten Arbeiterwohnungen errichtet sowie später Lesezimmer und Bibliothek, ein Speisehaus, ein Wasch- und Badehaus, eine Kinderbewahranstalt und ein Säuglingsheim. Jahrzehntelang florierte der Betrieb durch die Massenherstellung von rohweißen und farbigen Fabrikationskammgarnen und war zwischenzeitlich der zweitgrößte Arbeitgeber im Viertel. Nach konjunkturbedingtem Einbruch im Ersten Weltkrieg erfolgte ein rascher Wiederaufstieg. Im Zweiten Weltkrieg wurden 90% des Fabrikgeländes durch Bomben zerstört. Doch nach dem Wiederaufbau erreichte die Produktion bereits 1957 wieder Vorkriegsniveau. Als der Textilzar Hans Glöggler in den 1970er Jahren die Aktienmehrheit erwarb und kurz darauf mit seinem Imperium bankrott ging, war auch die Existenz der AKS bedroht. Doch die Bayrische Landesbank finanzierte den Neustart und 1986 war das Unternehmen mit 860 Mitarbeitern und 56.000 Spindeln wieder Marktführer in Deutschland. In den folgenden Jahren begann eine rasante und unaufhaltsame Talfahrt, bedingt durch den Niedergang der Textilbranche und die fortschreitenden Globalisierung. 2002 musste die Spinnerei und 2004 auch die Färberei Insolvenz anmelden. In einen Teil der AKS-Werkshallen zog 2010 das "Staatliche Textil- und Industriemuseum" (tim) ein. Der Rest des ehemaligen Fabrikgeländes mit seinen erhalten gebliebenen historischen Gebäuden soll in den nächsten Jahren zu einem "Viertel im Viertel" umstrukturiert werden.
Mechanische Baumwoll-Spinnerei und
Weberei Augsburg (SWA)
Gegründet: 1837 • AG seit 1837 • Branche: Spinnerei, Weberei • Spindeln: 190.000 (um 1910) • Webstühle: 3.000 (um 1910) • Beschäftigte: 1.200 (1851), 4.000 (1936) • geschlossen: 1988 • Abbruch: s.u.
Die SWA wurde 1837 als erste Aktiengesellschaft der Textilindustrie in Augsburg mit einem Kapital von 1,2 Millionen Gulden gegründet. Initiatoren waren das Bankhaus von Schaezler, der Unternehmer Karl Jakob Forster ("Schöppler & Hartmann") und der Kattungroßhändler Georg Heinzelmann. Bis 1840 entstand an der heutigen Johannes-Haag-Straße ein gigantischer sechsstöckiger Spinnerei-Hochbau von 155 Metern Länge, die so genannte "Große Fabrik", mit Platz für 300 Spinner (30.000 Spindeln) und 500 Weber (800 Webstühlen). Die Maschinen stammten aus dem Elsass und entsprachen dem neuesten Stand der Technik. Mit dem Bau von drei weiteren riesigen Fabriken bis 1910 unterstrich die SWA ihre Ambitionen, eine führende Rolle auf dem europäischen Markt spielen zu wollen.
Werk I, "Altbau"
Johannes-Haag-Straße
gebaut: 1837 - 1840
zerstört: 1944
abgebrochen: 1968
heute: Omnibus-Betriebshof der Stadtwerke
Werk II, "Rosenau"
Oblaterwallstraße
gebaut: 1887 - 1889
zerstört: 1944 (wieder aufgebaut)
abgebrochen: 1972
heute: Berufsgenossenschaft Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse
Werk III, "Proviantbach"
Proviantbachstraße / Reichenberger Straße
gebaut: 1877 - 1883 (Weberei), 1895 - 1898 (Spinnerei und Weberei)
Teilabbruch: 1998/1999 (u.a. Shedhallen)
heute: Büroflächen und Fachmarktzentrum
Werk IV, "Aumühle"
Otto-Lindenmeyer-Straße / Beim Glaspalast
gebaut: 1909 - 1910
Teilabbruch: 2004 (Shedhallen)
heute: Museen, Restaurant, Gewerbe- und Büroflächen
Im Auftrag der SWA wurde ab 1892 auch das "Proviantbachquartier" als günstige Wohnunterkunft für die Fabrikarbeiter und ihre Familien errichtet. Neben diesen Werkswohnungen umfasste das betriebliche Wohlfahrtssystem auch eine Sterbekasse, eine Pensions- und Krankenhilfekasse, ein Altersheim und einen Kindergarten.
Vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs waren fast 3.000 Männer und Frauen in den vier Werken beschäftigt. Nach der Zäsur der Kriegsjahre 1914 bis 1918 stieg ihre Zahl 1922 sogar auf 4.000 an. Im Zweiten Weltkrieg wurde Werk I so stark zerstört, dass es gar nicht mehr wieder aufgebaut wurde. Auch Werk II wurde beschädigt, jedoch nach dem Krieg wieder in Stand gesetzt. Werk III und IV blieben von schweren Bombentreffern weitgehend verschont. So konnte die Produktion bald schon wieder aufgenommen werden, und bereits 1950 erzielten 4.500 Beschäftigte einen Umsatz von 53,8 Millionen DM. In den 1960er Jahren begann auch bei der SWA der wettbewerbsbedingte Niedergang. Werk II wurde 1972 geschlossen und abgebrochen. Mit jetzt nur mehr 1.600 Beschäftigten konzentrierte man sich auf die Erzeugung von Bettwäsche, Rohwaren und Garnen. Anfang der 1970er Jahre erwarb Hans Glöggler das Unternehmen und trieb es durch Spekulationsgeschäfte in den Konkurs. 1988 wurde der Betrieb schließlich stillgelegt. Der sanierte Spinnereihochbau von Werk III (das "Fabrikschloss") beherrbergt heute Büroräume und ein Fachmarktzentrum. Im ebenfalls renovierten Hauptgebäude von Werk IV (der "Glaspalast") befinden sich seit 2002 u.a. drei Museen, ein Restaurant, Büroflächen sowie Forschungseinrichtungen des "iwb Anwenderzentrums" und des "Fraunhofer IWU".
Neue Augsburger Kattunfabrik (NAK)
Gegründet: 1783 (als "Schöppler & Hartmann") • AG seit 1885 • Branche: Textildruckerei • Beschäftigte: 950 (1950), 1.200 (1970er Jahre) • geschlossen: 1996 • Abbruch: 1998/1999
1885 als Aktiengesellschaft gegründet, jedoch mit einer Tradition, die bis ins Jahr 1702 zurückgeht, kann man die NAK wohl als das älteste Unternehmen der Augsburger Textilbranche bezeichnen. 1783 hatten die Herren Schöppler und Hartmann die "Apfel'sche Kattundruckerei" am Vogeltor gekauft und die Firma "Schöppler & Hartmann" gegründet. Im Jahr 1807 stieg Karl Ludwig Forster in den Betrieb ein und baute ihn bis Ende des 19. Jahrhunderts zu einem modernen Unternehmen aus. 1885 erfolgte die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft, die "Neue Augsburger Kattunfabrik" (NAK). In der Zeit ihres Bestehens ging es für die Firma immer wieder auf und ab, bedingt durch Krisen und die beiden Weltkriege. Doch die NAK konnte ihrem Ruf als Textildruckerei von Weltformat immer wieder gerecht werden. 1963 standen auf der Produktpalette "bedruckte Gewebe aus Baumwolle, Zellwolle, Kunstseide, Mischgeweben und Synthetiks für Kleider, Röcke, Blusen, Morgenröcke, Wäsche- und Dekorationsqualitäten." In den 1980er Jahren rutschte die Firma in die Bedeutungslosigkeit ab. 1996 wurde das Werk mit zuletzt ca. 500 Beschäftigten geschlossen. Kurz darauf brach man die komplette Fabrik (bis auf das Verwaltungsgebäude) ab und schuf somit Platz für die "City Galerie".
Martini & Cie.
Gegründet: 1832 • Branche: Bleicherei, Färberei, Textildruckerei und -veredelung • Beschäftigte: 200 (1885), 1.200 (1928) • 1968 bzw. 1972 z.T. in anderen Firmen aufgegangen • heute: Holding
Die Textilveredelungsfirma entstand 1832 in Haunstetten als Bleicherei und wurde 1847 um die vormals Froelich’sche Bleiche am Hanreibach erweitert. 1860 stieg man auch ins Färbergeschäft ein. 1882 folgte die Erweiterung um eine Textildruckerei. 1885 wurde eine eigene Krankenkasse eingerichtet, 1888 eine betriebliche Altersversorgung. Vor dem Ersten Weltkrieg hatte der Familienbetrieb 1.000 Beschäftigte und zählte zu den führenden Unternehmen der Branche in Deutschland. Zwischen 1914 und 1918 stand die Produktion weitgehend still. In den 1920er Jahren herrschte Hochkonjunktur. 1936 erfolgte die Umwandlung der GmbH in eine KG. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Werk Augsburg zu 85% zerstört. Erst 1948 konnte der Betrieb wieder aufgenommen werden. 1949 dann fusionierte man mit der Firma Carl Freudenberg Weinheim zu "Fremawerk, Martini & Co KG" und spezialisierte sich auf die Herstellung von Haushaltstextilien auf Vliesstoffbasis ("Vileda"). 1968 wurde die Textildruckerei an die Prinz AG verkauft und 1972 "Martini & Cie." in einen Verbund der Dierig Holding AG eingebracht. 1993 wurde das Werk Haunstetten geschlossen und 1995 abgebrochen. Auf dem Firmengelände im Textilviertel entstand das Gewerbegebiet "martini-Park". Heute ist die "Martini GmbH & Co. KG" eine mittelständische Holding in den Bereichen Immobilien und Forstwirtschaft.
Mechanische Feinweberei am Fichtelbach
Gegründet: 1846 • AG seit 1852 • Branche: Weberei • Beschäftigte: 650 (1888) • Webstühle: 660 (1872), 1.000 (1929) • ab 1937 zur Dierig AG gehörend • geschlossen: Ende der 1990er Jahre • Teil-Abbruch: 1936 • Abbruch: 1998/1999
1846 gründete der Kaufmann J. L. Paulin eine Weberei von Stoffen aller Art am Fichtelbach. 1852 erfolgte die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft und mit ihr der Ausbau des Werkes zu einer bedeutenden und baulich imposanten Fabrikanlage zu beiden Seiten der Fichtelbachstraße. Hergestellt wurden Baumwollgarn und vor allem Musselin (eine sehr leichte, feinfädige und glatte Stoffart). 1911 bestand der Komplex aus mehreren Webereihochbauten (einer davon im Fabrikschloss-Stil), Shedhallen, Maschinenhaus, Vorwerken, Magazinen und Verwaltungsgebäude. 1937 wurde die Weberei in den Dierig-Konzern eingegliedert und rationalisiert. Die Anlagen südlich der Fichtelbachstraße wurden abgebrochen, hier entstanden noch Ende der 1930er Jahre Arbeiterwohnblocks. Nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg baute man das Werk wieder auf und produzierte noch bis in die 1990er Jahre hinein. Der Kamin wurde 1998 gesprengt, 1999 große Teile der Anlage abgebrochen.
Spinnerei und Weberei am Sparrenlech (Kahn & Arnold)
Gegründet: 1869 • Branche: Spinnerei, Weberei • Spindeln: n.A. • Webstühle: n.A. • Beschäftigte: 940 (1933) • ab 1940 zur NAK gehörend • geschlossen: Anfang der 1970er Jahre • Abbruch: 1972
Das Unternehmen wurde 1869 von Aaron Kahn und Albert Arnold gegründet. Zwischen 1885 und 1928 erfolgte auf dem Gelände zwischen Provino- und Prinzstraße der schrittweise Neubau von insgesamt drei Hochbauten im Fabrikschloss-Stil. Zum Zeitpunkt der Machtübergabe an die Nationalsozialisten leiteten die Söhne der Gründer Alfred und Berthold Kahn sowie Benno und Arthur Arnold die Firma. 1938 wurde das Unternehmen "arisiert" und 1940 an die "Neue Augsburger Kattunfabrik" (NAK) verkauft. Die Familien Kahn und Arnold erhielten jedoch für ihren Besitz nichts von dem Verkaufserlös. Nach dem Krieg kam ein Vergleich zustande. Alfred Kahn emigrierte zunächst nach Bombay und später nach New York. Berthold Kahn konnte mit seinem Sohn nach Neuseeland fliehen. Die Brüder Arnold wurden aus Augsburg deportiert und kamen in Lagern ums Leben. Arthur starb im November 1941 in Dachau, Benno im März 1944 in Theresienstadt. Nach dem Krieg blieb die Firma ein Zweigwerk der NAK. Hergestellt wurden Baumwoll-, Zellwoll und Mischgarne sowie Leib- und Bettwäsche, Krankenhauswäsche, das Patentbettuch "Immerstraff", Markoline, Einlagestoffe, Futterstoffe, Berufsbekleidungsstoffe, Schürzenstoffe und Gewebe für den technischen Bedarf. Anfang der 1970er Jahre wurde die Produktion eingestellt, 1972 die gesamte Anlage abgebrochen.
Sie waren Visionäre und Pioniere der Industrialisierung in Augsburg. Investoren, Bauherren und Unternehmer voll Ehrgeiz und Tatendrang. Ihr unermüdliches Engagement und der feste Glaube an den Fortschritt belohnte sie mit Reichtum, Ruhm und Ehre. Und sie schafften nicht zuletzt Arbeitsplätze für mehrere tausend Menschen. Die Namen einiger großer Männer werden für alle Zeiten mit dem Textilviertel und der Augsburger Industriegeschichte verknüpft bleiben.
Johann Heinrich Schüle (1720 - 1811)
Johann Heinrich Schüle
Der Kaufmann und Unternehmer Johann Heinrich Schüle, geboren in Künzelsau, ließ in den Jahren 1770/1771 vor dem Roten Tor eine schlossähnliche Kattunfabrik errichten. Es war die erste Produktionsstätte dieser Art auf dem europäischen Festland. Durch den Einsatz modernster technischer Methoden und ein sicheres Gespür für Mode eroberte sich der Unternehmerfürst Absatzmärkte in ganz Europa. Bis Anfang der 1780er Jahre produzierte man in der Schüle'schen Kattunfabrik ca. 75.000 Kattunstücke, unter anderem auch den "Augsburger Zitz", einen Stoff, der Weltruf genoss. Mit ca. 350 hier Beschäftigten und mehreren hundert in häuslicher Produktion tätigen "Zulieferern" war der Betrieb zeitweise der größte Arbeitgeber der Stadt. Doch während Schüle mit der Herstellung von Luxusstoffen zu ungeheuerem Reichtum gelangte, entlohnte er seine Angestellten so dürftig, dass die meisten von ihnen nur knapp über dem Existenz-minimum leben konnten. Ab 1785 ging die Produktion deutlich zurück, da die Konkurrenz ihren technischen Rückstand inzwischen aufgeholt hatte. 1792 übernahmen Schüles Neffe und sein Schwiegersohn die Fabrik, doch gelang es ihnen nicht, die Absätze noch einmal zu steigern. Aufgrund der Französischen Revolution und der Napoleonischen Kriege ging der Betrieb nach dem Tod Johann Heinrich Schüles im Jahr 1811 schließlich Pleite.
Karl Ludwig Forster (1788 - 1877)
Karl Ludwig Forster
Forsters Vater, Georg Paul Forster aus Nürnberg, war 1801 als Teilhaber in die namhafte Kattunfabrik "Schöppler & Hartmann" seines Schwagers Johann Michael Schöppler eingestiegen. 1807 übernahm Karl Ludwig Forster die Anteile des Vaters. Bald darauf wurde das Werk am Vogeltorplatz zu einer modernen Fabrik ausgebaut. Dank technischer Innovationen stand Forster bereits in den 1820er Jahren an der Spitze aller Augsburger Kattunfabrikanten. 1828 ging die Firma in seinen alleinigen Besitz über. 1837 war er Mitbegründer der "Mechanische Baumwollspinnerei und Weberei Augsburg" (SWA). Forster galt als herausragende Unternehmerpersönlichkeit, die es bestens verstand, führende Köpfe aus Politik und Wirtschaft miteinander zu vernetzen. Er war Vorsitzender des Augsburger Handelsstandes und der Industrie- und Handelskammer. Sein Haus war Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens in der Stadt. Und auch nach seiner Erblindung 1865 blieb Karl Ludwig Forster die dominierende Gestalt der Augsburger Textilindustrie – bis zu seinem Tod 1877. Die Umwandlung der Kattunfabrik "Schöppler & Hartmann" in eine Aktiengesellschaft hat er nicht mehr miterlebt: 1885 entstand die "Neue Augsburger Kattunfabrik AG" ("NAK"), in der erst 1996 die Lichter ausgingen.
Ludwig Sander (1790 - 1877)
Ludwig Sander
Der in Kreuznach geborene Ludwig Sander übernahm 1813 die Leitung der "Lotzbeck'schen Tobac-Fabrique" in Augsburg. Sein Onkel Karl Ludwig v. Lotzbeck hatte diese kurz zuvor in der ehemaligen Schüle'schen Kattunfabrik als Zweigniederlassung seiner "Schnupftabakfabrik Lahr/Baden" eingerichtet. 1820 wurden die Werke in Lahr und Augsburg vereinigt und zu "Lotzbeck & Cie." Im gleichen Jahr erwarb Sander die Eberhardische Sägmühle und ließ einen Fabrikneubau auf dem Gelände des heutigen Stadtmarkts errichten. Die Tabakfabrik, in die 1841 Sanders Sohn Theodor mit einstieg, entwickelte sich zum bedeutendsten Unternehmen der Branche in Bayern. Zusammen mit Gaspar Dollfuß betrieb Sander ab 1840 außerdem eine Maschinenfabrik zur Fertigung von Antriebsmaschinen für die florierende Textilindustrie. 1844 wurde die "Sander'sche Maschinenfabrik" an Carl August Reichenbach und Carl Buz verpachtet, 1855 verkauft. Aus dem Unternehmen ging später die "Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg AG" (M.A.N.) hervor. Als Finanzier war Sander maßgeblich an der Gründung der Kammgarn-Spinnerei und der Baumwollspinnerei am Stadtbach beteiligt. Nach dem Tod seines Sohnes 1876 gründete Ludwig Sander die "Theodor Sander'sche Wohltätigkeitsstiftung", seine Töchter Emilie und Frida dotierten in Andenken an den Vater nach dessen Tod 1877 die "Sander'sche Stiftung" mit sechs Doppelwohnhäusern.
Johann Anton Friedrich Merz (1803 - 1867)
Der Kaufmann Johann Anton Friedrich Merz war Inhaber einer Kammgarn-Spinnerei in Nürnberg. Als das Werk der enormen Nachfrage nicht mehr gewachsen war, verlegte er es 1836 nach Augsburg. Entscheidend für den neuen Standort Augsburg war die hier verfügbare Wasserkraft und eine damit verbundene Senkung der Produktionskosten. Merz kaufte die ehemalige Samassa'sche Tabakmühle am Schäfflerbach und gründete dort die "Kammgarn-Spinnerey J. Fr. Merz & Cie.". 1845 gelang Merz mit Unterstützung namhafter Geldgeber (u.a. dem Bankhaus von Schaezler und Ludwig Sander) die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft, wodurch umfangreiche Erweiterungspläne finanziert werden konnten. Fortan firmierte das Unternehmen als "Augsburger Kammgarn-Spinnerei" (AKS). Friedrich Merz' Umgang mit den sozialen Belangen seiner Arbeiter gilt als vorbildlich. So wurden nicht nur neue Werksgebäude errichtet, sondern auch erste Wohnunterkünfte für die Beschäftigten. Außerdem gründete er eine Betriebskrankenkasse, eine Ersparniskasse und einen Unterstützungsfonds für Erwerbsunfähige. Nach seinem Tod 1867 wurden noch viele weitere betriebliche Sozialleistungen verwirklicht.
Clemens Martini (1799 - 1862)
Viktor Martini (1834 - 1898)
Viktor Martini
1832 erwarb der Kaufmann Clemens Martini aus Biberach eine Leinwandbleiche in Haunstetten und 1847 die vormals Froelich’sche Bleiche am Hanreibach. Zusammen mit Johann Georg Käß als Teilhaber gründete er eine Textilveredelungsfirma, die schon bald zu den führenden ihrer Art in Deutschland zählte. 1860 übernahm Käß das Haunstetter Werk, während Clemens Martini und sein Bruder Fritz den Augsburger Betrieb als Färberei "Martini & Cie." weiterführte. Nach seinem Tod leiteten die Neffen Viktor und Wilhelm das Unternehmen. 1882 wurde die Firma um eine Textildruckerei erweitert. Viktor Martini und sein Cousin Wilhelm beschäftigten inzwischen 200 Personen, für die 1885 eine eigene Krankenkasse und 1888 eine betriebliche Altersversorgung eingerichtet wurde. Nach dem Tod Viktor Martinis 1898 blieb der Betrieb noch bis 1949 in Familienbesitz. Nach Fusion, Verkauf und Schließung ist Martini heute eine mittelständische Holding in den Bereichen Immobilien und Forstwirtschaft.
Johann Gottfried Dingler (1778 - 1855)
Johann Gottfried Dingler
1800 ließ sich Johann Gottfried Dingler aus Zweibrücken als Apotheker in Augsburg nieder. Die Bekanntschaft mit dem Kattunfabrikanten Johann Heinrich Schüle führte Dingler zu dem Entschluss, sich als Chemiker der Druck- und Färbekunst zu widmen. Nach Studien der Zeugdruckerei in Mülhausen im Elsass gründete er 1806 in Augsburg eine Fabrik chemischer Produkte ("Dingler & Arnold"), die deutsche, österreichische und schweizerische Kattunfabriken belieferte. Er arbeitete eng mit Karl Ludwig Forster zusammen. Zwischen 1822 und 1848 betrieb er eine eigene Kattunfabrik in Augsburg. Das Hauptwerk Dinglers war allerdings die Gründung und Herausgabe des "Polytechnischen Journals", der ersten technisch-wissenschaftlichen Zeitschrift in Deutschland, deren 1. Band 1820 im Cotta-Verlag erschien.
Ludwig August Riedinger (1809 - 1879)
Ludwig August Riedinger
Bereits 1839, mit 30 Jahren, stieg der gebürtige Augsburger Ludwig August Riedinger in die Position des Spinnmeisters der "Mechanische Baumwollspinnerei und Weberei Augsburg" (SWA) auf und wurde schließlich deren Technischer Direktor. In seinem Zuständigkeitsbereich lagen dabei auch die Gasbeleuchtung und -heizung. 1852 machte er sich mit der Errichtung einer eigenen Gasanstalt selbstständig. 1857 gründete er eine Fabrik für die Herstellung von Gasapparaten, die zur "L.A. Riedinger'schen Maschinen- und Bronzewarenfabrik" ausgebaut wurde und 1927 in der M.A.N. aufging. Neben seiner Tätigkeit als Betreiber von Gasanstalten gründete Riedinger auch zahlreiche mechanische Spinnereien und Webereien in ganz Bayern. Er gilt als einer der wichtigsten Unternehmer in der Textil- und Gasindustrie. Bis zu seinem Tod 1879 baute Ludwig August Riedinger die Gasbeleuchtung von 25 bayerischen Städten und weiteren 42 in ganz Europa auf.
Johannes Haag (1819 - 1887)
Johannes Haag
Nach seinem Maschinenbau-Studium an der Polytechnischen Schule in Augsburg ging der gebürtige Kaufbeurer Johannes Haag 1842 zu einem Studienaufenthalt in das industriell aufblühende England. Dort lernte er unter anderem die Perkin'sche Heißwasserleitung und Dampfheizung kennen. Nach seiner Rückkehr 1843 gründete er in Kaufbeuren die "Werkstätte für allgemeinen Maschinenbau und für die Herstellung von Zentralheizungen". Haag erhielt Aufträge der Höfe von München, Wien, Berlin und Petersburg. 1857 wurde das sich rasch entwickelnde Unternehmen als "Maschinen- und Röhrenfabrik Johannes Haag" nach Augsburg verlegt. 1870 zählt der Betrieb über 500 Beschäftigte. Die Vielzahl seiner Erfindungen ließ Haag zum hartnäckigen Verfechter eines Deutschen Patentrechts werden. Er gilt als Hauptinitiator des 1877 in Berlin gegründeten Reichspatentamtes (seit 1948 in München als Deutsches Patentamt). Nach dem Tod Johannes Haags 1887 übernahm sein Schwiegersohn August Reimer das Werk. Tochter Rosette begründet neben kleineren Stiftungen die "Johannes Haag’sche Stiftung" zur Vergabe von Studienstipendien. Die "Johannes Haag AG, Berlin (West)" – so der offizielle Name nach Umfirmierung und Umzug – ging 1964 bankrott.
Im »Taschenbuch von Augsburg oder: Topographisch-statistische Beschreibung der Stadt und ihrer Merkwürdigkeiten« von 1830 wird ein Spaziergang durch das Gebiet vor den Toren der Stadt geschildert, auf dem sich jetzt das Textilviertel erstreckt.
Der Rundgang beginnt auf der heutigen Friedberger Straße stadteinwärts...
» An den Wasser-Fallen des Kanals vorbei, kommt der Spaziergänger in den 4ten Distrikt der Stadt-Umgebungen; [...] und gelangt dann zu dem, an dem Haupt-Lechkanal, dem sogenannten Stadtbache sich schön erhebenden, ehemaligen v. Schüleschen, nachher v. Lotzbeckischen Fabrikgebäude, welches nunmehr der Kaffeeschenk Herr Lutz an sich gekauft hat. Es ist ein sehr stattliches Gebäude, welches besonders früher, als noch eine, mit einem eisernen Gitter rings umgebene Platte-Forme, statt dem jetzigen Dache darauf stand, die Aufmerksamkeit aller hiehergekommenen Fremden auf sich lenkte.
Die Geschichte Augsburgs wird stets des Gründers dieses Fabrik-Pallastes, als eines merkwürdigen Mannes gedenken. [...] Zwar hat er den Glanz seines Hauses überlebt, allein die Verdienste dieses genialen Mannes, dessen mannichfaltige, ins Große gehende und glücklich ausgeführte Unternehmungen, vielen Tausenden zu seiner Zeit reichlich ihr Brod verschafften, überwogen seine Sonderbarkeiten. [...] Die Herren v. Lotzbeck verkauften dieses Gebäude, nachdem sie die Eberhardische Sägmühle käuflich an sich gebracht und ihr ausgedehntes Geschäft in das ehemalige Fuggersche Haus, in der St. Annagasse [...] verlegt hatten.
Das Wohngebäude richtet seine Fronte gegen die Friedberger Straße. Vom rothen Thore herkommend, fällt der Blick durch ein herrliches eisernes Gitterthor in den Garten. Auf den Stein-Pfeilern, zwischen welchen sich die Thorflügel in ihren Angeln bewegen, sitzen zwei ruhende Löwen, welche, so wie die Vasen, Termen, nebst der übrigen Bildhauer-Arbeit, von dem verstorbenen Bildhauer Ingerle aus Stein gehauen wurden. Das Gebäude selbst ist von dem Baumeister Leonhard Christian Mayr ausgeführt.
Dem linken Flügel-Gebäude gegenüber, liegt an der Straße, die Tafern-Wirthschaft »zum Bache« genannt; dort vergnügen sich die Gehülfen der Gewerbs-Klasse an den Sonntagen mit Tanzbelustigungen. Das Wirthshaus selbst ist zugleich zur Beherbergung von Fremden eingerichtet.
Das Gartengut 106 - 109 gehörte ehedem gleichfalls dem Herrn v. Schüle, jetzt ist es ein Eigenthum des Hrn. Banquiers Freiherrn von Süßkind geworden, eines Mannes, der durch genaue und tiefe Einsichten in das Wesen der höhern Merkantil-Wissenschaften, durch eine unermüdete Thätigkeit, sich auf einen hohen Gipfel des Reichthums schwang und sich auf demselben behauptet. Der frühere Schülesche Garten gedieh, während dem Besitze des jetzigen Eigenthümers, durch eine ansehnliche Erweiterung zu einem wahren Eden. Herrliche Baumpflanzungen, Pavillons und andere elegante Garten-Anlagen wechseln hier miteinander, und der reitzenden Blumenspenderin Flora, ist hier in einem schönen Glas- und Gewächshause ein würdiger Blühtentempel geweiht.
An diesen zu den schönsten Gartenanlagen in Augsburgs Umgebungen gehörenden v. Süßkind'schen Parke, gränzt das Gartengut des Platzwirthes Neff.
Durch den Ankauf eines Stückes von diesem Garten, von Seiten des Magistrats, wurde die Passage, welche hier wegen einer scharfen Ecke der zusammenstoßenden Gartenwände früher für Wägen sehr gefährlich war, erweitert. Dieser Schenkplatz ist wegen seiner Nähe am Schwibbogen-Thor sehr angenehm und wohlgelegen; früher bestanden hier abonnirte Gesellschaften, jetzt ist er dem allgemeinen Vergnügen geöffnet, er ist meistens von gewählter Gesellschaft besucht.
Ein gleichfalls hübsches Gartenhaus sammt Gartengut stößt dicht an denselben, es ist jetzt das Eigenthum des Bankiers Hrn. Leopold Wagenseil.
Mit der Wohnung des Unterschleußenwärters Hrn. Kindt 115 - 116 ist gleichfalls ein Schenkplatz verbunden. In diesem vierten Distrikte befindet sich noch die Sägmühle des Herrn Dietrich, dann einige, verschiedenen Gärtnern gehörige Gemüse-Gärten und Gartenhäuschen.
Mit Nro. 130 betreten wir den fünften Distrikt, er zieht sich vom Schwibbogen bis zum Jakober- oder ehemaligen Neuthor oder Lechhauser-Thor beim Vogelthor vorbei. [...] Das Gartengut des Gärtnermeisters, Hrn. Plappert, ist der Beginn-Punkt dieses Distrikts. Zunächst diesem fällt uns das hübsche Garten-Gebäude und die Garten-Anlage der Frau Wittwe des königl. Hrn. Finanz-Rathes v. Carli ins Auge; in geringer Entfernung davon reiht sich an dieses, das dem fleißigen und verdienten Ehrengreise und Stadtgärtner Beck gehörige Gartengut, welches ertragreiche Obstbäume von den edelsten Früchtesorten und ein mit den Blumengeschenken der wärmeren Zone ausgestattetes Gewächshaus schmücken. Diesem noch in seinem hohen Alter thätigen Manne verdankt Augsburg seine schönen Baumpflanzungen.
Ein schmales Durchgangs-Gäßchen zieht sich zwischen den Gärten von fünf fleißigen und geschickten Gärtnern hindurch. Durch dieses gelangt man an das sehr ansehnliche Bleichgut und die Fabrikgebäude der Herren Hartmann & Forster, welche sich sammt dem dazu gehörigen Garten bis an den Stadtgraben hin erstrecken, auf diesem ziehen nun wieder, durch die sorgfältige Aufmerksamkeit und auf Kosten der Gesellschaft auf dem Jakober-Wall, Schwäne stolz einher, ein Anblick, wofür ihnen jeder Spaziergänger im Stillen von Herzen dankt.
Von der andern Seite gränzt jenes sehr ansehnliche Fabrikwesen an den breiten und bunten Wiesenteppich des sogenannten Bachenangers, einem ansehnlichen Bezirke herrlicher Wiesen, welche meist hiesigen Metzgern eigenthümlich gehören.
Das ehemalig Döblersche Bleichgut ist nun sammt den dazu gehörigen Gebäuden ein Eigenthum des Herrn Wilhelm v. Hößlin geworden und die Bleichgründe sind zu einer schönen Gartenanlage umgeschaffen. Vor einem Gemüsgarten und den der Bäckerzunft gehörigen Schweinställen vorbei, kommen wir an die ehemalig Rehische Sägmühle, an ein ehemaliges Tabak-Fabrikgebäude; unsern Blicken begegnet auf diesem Punkt die schöne Kottunfabrik und das Walkgebäude des Freiherrn v. Wohnlich, jetzt v. Frölich, sammt der dazu gehörigen Bleiche; die Langenmayer'sche Sägmühle und ehemalige Gewürzmühle, wie oben erwähnt, sind jetzt als ein Eigenthum des Frhrn, v. Lotzbeck zu einer Tabakmühle umgeschaffen; mit der Oelmühle 177, einer ehemaligen Grätzmühle, ist ein Schenkplatz verbunden und an das nächstliegende Tabak-Fabrikgebäude der Frau Wittib Provino reiht sich die Messing-Fabrik mit den merkwürdigen Streck- und Walzwerken der Herren Beck und Schmid (unter der Firma J. A. Beck & Komp.)
Einen recht schönen und anmuthigen Punkt in Augsburgs Umgebungen bildet das Breivogel'sche Bad sammt den Wirthschafts-Gebäuden [...]. Die dasselbe umgebenden Garten-Anlagen mit hübschen Lauben die geschmackvollen Gastzimmer, machen dieses Bad zu einem sehr angenehmen Erholungs-Platze. Das Wirthshaus-Gebäude von moderner Bauart, enthält hübsche Zimmer für Badegäste, welche zugleich hier Sommerwohnungen wünschen.
In der Nähe dieser schönen Anlage steht das Mayersche Hammerwerk, merkwürdig durch die sinnreiche Einrichtung zum Strecken des Eisens und zum Walzen, so wie durch die dort befindliche Eisendrehbank und Schraubmaschine.
Die ehemalige, der Familie des Freiherrn v. Münch gehörige obere Weißbleiche ist jetzt ein Eigenthum des Herrn Wechselsensals Amüller. Er betreibt auf einem Theile dieses ausgedehnten Raumes die Spargelkultur im Großen und hat eine ansehnliche Maulbeer-Plantage zum Behufe der von ihm mit glücklichem Erfolge versuchten Seidenzucht, angelegt. Ueberhaupt ist er Freund und Kenner der Landwirthschaft, und während er dieser huldigt, wird die Ausübung des Bleichgeschäftes dadurch nicht im mindesten benachtheiligt.
Die hier gelegene Schmidische Tabakfabrik 206. ist stets in ununterbrochener Thätigkeit. An der Bergmühle, dem Käbizischen Kupfer-Hammer und der Grünwedelschen Gewürzmühle vorbei, wo Gewürze und Farbstoffe pulverisirt und Farbhölzer geraspelt und zu Spähnen geschnitten werden, besichtigen wir die Deilbohr-Hütte an dem Wohnhause des Aufsehers an der Holzlege 221 - 22. In jener Hütte werden die, zu den, unter der Erde durch bleierne Verbindungsröhren mit einander kommunizirenden, zur Wasserleitung angewendeten Baumstämme, mittelst der Bohrmaschine ausgehölt und ihnen der sogenannte Kern ausgebohrt.
Ein hier in der Nähe befindlicher Schenkplatz heißt gleichfalls zum Stadtjäger.
Sehenswerth ist die Säg- und Oelmühle des, durch vorzügliche Kenntnisse im Fache der Mechanik und der Architektur ausgezeichneten Zimmer-Meisters Wittmann. Sägmühlen gab es schon lange in Augsburg; im Jahr 1321 existirte bereits hier die Erste, sie hieß Hanrey und diese Benennung behielten Mühle und Bach in der Folgezeit bei.
Das Städtische Bau-Magazin-Gebäude auf dem sogenannten Zimmerhofe wurde weiter oben erwähnt *).
In der Faul'schen Kalkbrennerei wird aus den, auf den Sandbänken des Lechs zusammengelesenen Kiesel-Geschieben und aus den großen, auf Flößen hierher kommenden Kalk-Tuffstücken, das unentbehrlichste Baumaterial, der Kalk, gebrannt.
*) Bauholz wird in ganzen Flößen auf der Wertach und dem Lech hier hergebracht, und die Vorräthe davon sind auf dem Zimmerhofe und bei den Sägmühlen aufgeschichtet, wo sie zu Brettern und Latten zugeschnitten und verkauft werden. Die vier vorhandenen Sägmühlen sind sämmtlich vor der Stadt gelegen. Zunächst am Zimmerhofe und den dazu gehörigen Magazin-Gebäuden ist eine Deilbohrhütte, in welcher die zu der unterirdischen Wasserleitung erforderlichen Fichtenstämme ausgehöhlt werden. (S. 261) «
Quelle:
"Taschenbuch von Augsburg oder: Topographisch-statistische Beschreibung der Stadt und ihrer Merkwürdigkeiten", hrsg. vom Verlag I. C. Wirth, Augsburg, 1830 (S. 346 - 352)
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Die Gärten der Reichen
Im 18. Jahrhundert war es in Kreisen reicher Augsburger schick, sich vor den Toren der Stadt ein Gartengrundstück zuzulegen. Einige dieser Gartengüter dehnten sich auch im Bereich des späteren Textilviertels aus. Direkt vor dem Schwibbogentor lag der Schaur'sche Garten, der 1715 von dem Destillator und Chemiker Johann Caspar Schaur als Lustgarten angelegt worden war. Die Anlage war mit großen Volieren, Springbrunnen und Grotten prunkvoll ausgestattet und galt als eine Attraktion der Stadt. Im Laufe der Jahre wechselten diese Gartengüter immer wieder ihre Eigentümer. So war der Schaur'sche Garten Ende des 18. Jahrhunderts in den Besitz der Familie des Bankiers Tomaso Carli übergegangen. Später gehörte die Anlage zum Anwesen der Unternehmerfamilie Forster. Als Relikt dieses Gartenguts (heute Schwibbogenplatz 2) ist ein neugotischer Turm – das ehemalige Wasserwerk – erhalten geblieben.
Ein Chronist weiß 1818 zu berichten:
» Zwischen dem rothen Thor und Schwibbogen ist der Süskindische, vor dem Schwibbogenthor der Gutermännische, Plapererische, Carlische, Wolfische Garten.
Diese Garten sind etwa nicht, wie jene der reichen Particuliers in Leipzig, dem öffentlichen Besuche frey gegeben, sondern wohl unter Schloß, Riegel und Gitter verwahrt. Auch dürfte ein Theil des Publikums eine zu irrige Ansicht von diesen Anlagen haben, um ihm eine Begünstigung der Art ohne Gefahr einzuräumen. «
Quelle:
"Augsburg in seiner ehemaligen und gegenwärtigen Lage", Georg Heinrich Keyser, hrsg. von der Rösl'schen Verlagshandlung, Augsburg, 1818 (S. 124)
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Der alte Bahnhof
Kurz nachdem 1835 die Eisenbahnlinie zwischen Nürnberg und Fürth
in Betrieb genommen worden war, wurden in Augsburger und Münchener Handels- und Bankkreisen Stimmen laut, die sich für die Einrichtung einer Bahnverbindung zwischen beiden Städten einsetzten. König Ludwig I. genehmigte das privat finanzierte Vorhaben, und so wurde am 4. Oktober 1840 der Bahnverkehr zwischen Augsburg und München aufgenommen.
Der in den Jahren 1839/40 von Georg Gollwitzer errichtete erste Augsburger Bahnhof lag vor dem Roten Tor in unmittelbarer Nähe der ehemaligen Schüle'schen Kattunfabrik. Weiter wagte man sich mit dem Bau nicht an das Stadtzentrum heran – aus Furcht, die dampfbetriebenen Lokomotiven könnten außer Kontrolle geraten und eine Brandkatastrophe verursachen.
Die Einstieg- und Empfangshalle des Kopfbahnhofes hatte eine Länge von 60 Metern und einen basilikalen Aufbau mit gemauertem Mittelschiff und Pfeilerarkaden. Die Lokomotiven wurden durch handbetriebene Drehscheiben in der Halle gewendet.
Schon nach wenigen Jahren wurde auf dem Rosenauberg, etwa 500 Meter außerhalb der westlichen Stadtbefestigungen, ein neuer Bahnhof gebaut und 1846 in Betrieb genommen. Der Grund war die Streckenerweiterung nach Nürnberg, welche einen Durchgangsbahnhof notwendig machte. Somit verlor der alte Bahnhof seine Bedeutung und wurde anderen Nutzungen zugeführt. So diente er zunächst ab 1880 bis zum Ersten Weltkrieg als Militärreitschule. Seit 1920 ist er Teil des städtischen Straßenbahndepots. Im Zuge des Umbaus zur Wartungshalle wurde das Gebäude saniert und nach links und rechts erweitert. Ursprünglich Richtung Südosten geöffnet, erfolgt heute die Ein- und Ausfahrt aus Richtung Nordwesten. Unbestätigten Quellen nach gilt das Bauwerk als das älteste noch existierende Bahnhofsgebäude der Welt(!).
Der Straßendurchbruch bei St. Margaret
Alte Stadtpläne von Augsburg belegen, dass es noch um 1900 nicht gerade einfach war, aus der Innenstadt kommend ins Textilviertel zu gelangen. Von Westen her war eine direkte Zufahrt ausschließlich über die Provinostraße möglich (die Prinzstraße gab es noch nicht), von Nordwesten nur über die Argon- und die Johannes-Haag-Straße. Das Industriegebiet lag zwar unmittelbar vor den Mauern der historischen Altstadt, war aber vom Geschäftszentrum der Stadt so gut wie abgeschnitten. Die heute selbstverständliche Verbindung zwischen der südlichen Maximilianstraße und dem Textilviertel über den Milchberg und den Schwibbogenplatz gab es lange Zeit nicht. In Höhe der Bäckergasse/Spitalgasse stand hier nämlich das jahrhundertealte Kloster St. Margaret, welches "den Weg versperrte". Erst 1915 wurde der Straßendurchbruch vorgenommen, dem der Nordflügel des Klosters weichen musste. Durch die an dieser Stelle entstandene Margaretenstraße war nun eine bessere Anbindung der Produktionsstätten des Viertels an das Stadtzentrum gewährleistet. Ab 1920 führte auch die Strecke der Straßenbahnlinie 6 hier durch und weiter über die Prinzstraße zur Friedberger Lechbrücke.
Die Arbeiter-Skulpturen in der Fritz-Koelle-Straße
Fritz Koelle wurde 1895 in Augsburg geboren. Er war Bildhauer und wurde vor allem durch seine Arbeiter-Skulpturen aus Bronze bekannt. Nach eigener Aussage schuf er diese Skulpturen aus "reiner Lust am plastischen Gestalten" und als "bildgewordenen Ausdruck eines harten Lebens". Soziale Anklage sei nie seine Motivation gewesen. Trotzdem – oder gerade deswegen – gilt Koelle als kontroverser Künstler. 1934 wurde seine Kunstauffassung von den Nazis als "bolschewistisch" eingestuft, eine an der Münchner Akademie zuvor in Aussicht gestellte Professur deswegen von staatlicher Seite abgelehnt. Nach einigen Tagen in Gestapo-Haft kam Koelle wieder frei und erhielt fortan sogar staatliche Aufträge. Auch an der "Großen Deutschen Kunstausstellung", die repräsentativ war für die Kunst im Nationalsozialismus, nahm er 1937 und 1942 teil.
Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sein künstlerisches Schaffen im NS-Staat öffentlich in einigen Medien verurteilt. Seine Werke seien zu konform und zu angepasst an die Ideologie des NS-Regimes gewesen, so seine Kritiker. Auch nun scheiterten seine erneuten Versuche, eine Professur in München zu erlangen. 1946 wurde Koelle Mitglied der "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes". 1949 schließlich erhielt er eine Professur an der Akademie in Dresden, 1951 dann an der Hochschule für angewandte Kunst in Berlin-Weißensee. Fritz Koelle starb 1953 und hinterließ eine Menge offener Fragen.
Die Kirche Don Bosco
Die Neustadt am Herrenbach wuchs in den 1950er Jahren rapide heran, was die katholische Kirche dazu veranlasste, dort ein neues Pfarrzentrum zu errichten. Der namhafte bayerisch-schwäbische Architekt Thomas Wechs zog am Ende seiner Karriere noch einmal alle Register und plante zusammen mit seinem Sohn Thomas Wechs jun. einen imposanten Kirchenbau nach klassischem Muster: Es entstand eine Kombination aus kathedraler Doppelturmfassade und zentriertem Kuppelraum, eine Zusammenstellung der beiden wichtigsten Würdeformeln in der katholischen Kirche. Der Bau wurde in rasantem Tempo ausgeführt, vom ersten Spatenstich im November 1960 bis zur Weihe durch den Augsburger Bischof Joseph Freundorfer im Oktober 1962 vergingen gerade mal knapp zwei Jahre.
Die beiden filigranen Betontürme sind das Wahrzeichen der Kirche und des Herrenbachviertels. Sie sind jeweils 72 Meter hoch und damit höher als der Perlachturm (70 m) und die Hochhaustürme des benachbarten, 1970/71 angelegten, SchwabenCenters (70 m). Der markante Zentralbau selbst wird von einer 18 Meter hohen Stahlbetonkuppel überspannt, die einen Durchmesser von 30 Metern aufweist.
Bis 1965 wurde das angegliederte Gemeindezentrum mit Pfarrsaal, Kindergarten, Hort, Jugendwohnheim und Sporteinrichtungen fertiggestellt.
Die Schleifenstraße
Mit der Schleifenstraße wurde zwischen 1993 und 2004 eine Süd-Ost-Verbindung von der Blücherstraße in Lechhausen bis zur B 300 (Haunstetter Straße im Hochfeld) geschaffen. Die Trasse, die letztlich der Umfahrung und somit Entlastung des Roten Tors dienen soll, hat während ihrer Planungsphase – und weit darüber hinaus – für reichlich Zündstoff gesorgt. Viele Bürgerinnen und Bürger konnten sich bis heute nicht mit ihr anfreunden. Vor allem wird immer wieder kritisiert, auf welch rücksichtslose, unsensible Art und Weise man das 103-Millionen-Euro-Projekt realisiert hat. Straßenzüge wurden durchtrennt und so zum Teil zu Sackgassen (Otto-Lindenmeyer-Straße, Schäfflerbachstraße, Provinostraße). Grünflächen und natürliche Biotope wurden überbaut. Die vierspurige Schnellstraße durchschneidet heute das Textilviertel und teilt es in zwei Hälften.
Erste Pläne zum Bau der Schleifenstraße gehen bis in die 1930er Jahre zurück. In der NS-Zeit wurde Augsburg zu einem Rüstungszentrum ausgebaut. Der Industrieverkehr verlagerte sich größtenteils vom Textilviertel in ein bis dahin noch nicht angeschlossenes Gebiet im Süden der Stadt, wo die Firma Messerschmitt neue Flugzeugwerke errichtete. Es musste also eine Stichstraße von der Reichsautobahn (heute A8) im Norden bis nach Haunstetten im Süden geschaffen werden. Bis Kriegsbeginn wurden jedoch nur Teile dieser Straße fertig, wie der Abschnitt Theodor-Wiedemann-Straße und der vierspurige Ausbau der Haunstetter Straße. Entlang der Trasse entstanden zahlreiche Wohnbauten für Rüstungsarbeiter und Parteigänger, so z.B. die beiden Eingangsblöcke zur Schleifenstraße in der Schäfflerbachstraße (1937), die angrenzenden Blocks in der Fichtelbachstraße (1937) oder einige Häuser in der Theodor-Wiedemann-Straße (1938/39). An Letzteren finden sich noch heute Überreste nationalsozialistischer Propaganda in Form zweier Hausreliefs.